Ein einziger Satz kann eine unglaublich große Kraft haben – im Guten genauso wie ich Schlechten.
Eigentlich war alles gut. Ich saß eingekuschelt in meinem Bett und freute mich darauf, gleich mit einem Freund zu telefonieren. Die Minuten krochen zäh dahin und langsam verwandelte sich das Ticken der Uhr in ein unangenehmes Hämmern. Ich wartete auf den Anruf. Wir hatten uns doch für neun Uhr verabredet, oder? Inzwischen zeigte das Handydisplay halb zehn. Ich lehnte mich zurück. Das Ziehen in meiner Brust wurde stärker, aber eigentlich war es mir auch ganz recht so – ich war sowieso schon ziemlich müde. Kurz vor zehn – ich nahm mein Handy und tippte kurz und knapp, dass ich lieber schon schlafen gehen würde und es deswegen heute wohl nichts mehr würde mit dem Telefonieren. Dann schmiss ich das blöde Ding frustriert zur Seite. Kurz darauf klingelte es – da war er, der Anruf. Aber ich bewegte mich keinen Zentimeter. Stattdessen schnaubte ich lachend auf und ließ es klingeln. Der Frust und die Wut waren zu groß. Und dann stand dort dieser Satz: „Sorry, ich war noch mit guten Freunden essen und hab die Zeit vergessen.“ Wumms – Ich brach zusammen. Das Zimmer verschwamm vor meinen tränengefüllten Augen. Der Druck auf meiner Brust wurde unerträglich. Als würden in meinem Körper sämtliche Alarmsirenen auf einmal losheulen. Und überall stand in neonroter Leuchtschrift: „Du bist nicht wichtig genug. Du wurdest vergessen. Du bedeutest ihm nichts.“
Gift in meinem Kopf
Ich reagierte, als hätte sich ein Schalter in mir umgelegt. Flucht, Rückzug, Perfektionismus. Ich bin nicht gut genug? Na gut, dann werde ich halt besser. Ich kenne diese Gedanken. Sie sorgten dafür, dass ich mich als Kind dazu entschied mich perfekt anzupassen und es allen recht zu machen. Und ich weiß auch, was sie mit mir anstellen. Auf einmal stelle ich alles infrage. Jede Freundschaft, jeden Erfolg und vor allen Dingen mich selbst. Und wie heißt es so schön? Wer sucht der findet. Jeder schiefe Blick wird zum Beweis, dass mich niemand mag. Sowieso meldet sich kaum noch jemand bei mir. Was habe ich auch schon zu bieten? Ich bekomme eh nichts hin. Hört sich nett an, oder?
Halt. So habe ich früher reagiert. Das heißt nicht, dass ich heute auch so reagieren muss. Statt mich zurückzuziehen, kann ich offen darüber sprechen, was in mir vorgeht. Ich kann nachfragen und andere Menschen um eine andere Perspektive bitten. Denn meine Perspektive ist sicherlich nicht die vertrauenswürdigste Quelle. Ich vergesse, dass auch ich schon Telefonate vergessen oder genau diesem Freund abgesagt habe – und zwar obwohl er mir sehr wichtig ist. Ich sehe nicht, dass er sofort angerufen und sich danach zwei Mal ernsthaft entschuldigt hat. Ich weiß schlicht und einfach nicht, was ein anderer Mensch denkt. Woher will ich also wissen, dass ich nicht wichtig bin? Er kann genauso gut beim Essen die Zeit vergessen haben, weil das Gespräch interessant war und alle Spaß hatten. Auf einmal sieht die Situation viel harmloser aus – ich muss fast schmunzeln.
Die Botschaft
Trotzdem – meine heftige Reaktion beunruhigt mich. An der Situation liegt es nicht, das ist mir inzwischen klar. Es ist der Satz, der mich spontan immer wieder in den Abgrund stürzt. „Ich bin nicht wichtig gut. Ich bedeute nichts.“ Der Glaubenssatz steckt tief, wirklich tief. So oft ich ihn auch schon analysiert, herumgewälzt, in Meditationen ins Feuer geworfen habe – er bleibt hartnäckig. Was soll mir das sagen? Warum möchte ich unbedingt, dass mir andere Menschen zeigen, wie wichtig ich ihnen bin?
Kann es sein, dass ich mir von anderen etwas wünsche, dass ich mir selbst nicht gebe? Bin ich mir selbst denn wichtig?
Ich wäre es gerne, aber… Autsch. Meine Taten sprechen eine andere Sprache. Da kann ich mir noch so oft sagen, ich wäre mir wichtig. Wenn ich weiter genauso hart mit mir umgehe, sind die Sätze nur flüchtige Hüllen. Der Vorhang fällt, Scheinwerferlicht an: Ich erzähle mir, ich würde gut für mich sorgen – und zwinge mich zu Produktivität und Leistung. Ich spreche davon, liebevoll mit mir selbst umzugehen – und erlaube mir nicht einmal warm zu duschen oder abends einen Film zu gucken (denn das ist entweder umweltschädlich, verschwenderisch oder nicht gut für die Augen). Ich wiederhole in Mantras, mich selbst wertzuschätzen – und verurteile mich für jeden Fehler. Ich verspreche mir, mir selbst wichtig zu sein – und stelle die Meinung und potenziellen Gedanken anderer immer wieder an erste Stelle. Wem fällt da noch auf, dass etwas nicht stimmt?

Ich bin so dankbar, dass die Freunde ein schönes Essen hatten und dabei die Zeit vergessen haben. Ich habe den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden. Solange ich nicht beginne, mir selbst aktiv wichtig zu sein, werde ich darauf warten, dass andere Menschen mir geben, wonach ich mich so sehr sehne: Selbstwertschätzung. Nur, dass mir das niemand anderer geben kann als ich selbst.
„Ich bin mir selbst wichtig.“ Auch dieser Satz hat eine unglaubliche Kraft. Jedoch nur, wenn er mit Leben gefüllt ist.
Jedes Wort – ausgesprochen oder gedacht – ist wie ein Samen, den ich in mir pflanze. Je mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung ich dem Samen schenke, desto mehr wächst er in mir. Welche Samen möchte ich pflanzen? Und welche Samen gieße ich durch meine Taten?
Die lange warme Dusche und der Filmabend mit meiner Schwester haben so gutgetan. Das Lächeln in meinem Gesicht hat sich gut angefühlt. Heute werde ich laut Musik anmachen und tanzen – oder einen langen Mittagsschlaf machen. Mal sehen, worauf ich Lust habe.
Welchen Satz möchtest Du mehr stärken? Was kannst du dafür tun? Wer willst Du SEIN, damit der Satz deinem Leben entspricht?
Ich bin gespannt, was ich in den nächsten Tagen erleben werde. Ich freue mich, von Deinen Erfahrungen zu hören und Dich nächste Woche hier wiederzusehen!
Alles Liebe und ganz viel Kraft,
Deine Sarah
Hallo liebe Sarah
Es ist ziemlich krass, wie ähnlich es mir im Moment geht… Ganz anderes Thema, aber ziemlich ähnliche Gefühle:
Ich hab gestern einen ziemlichen Schlag mit einem megagroßen Zaunpfahl von zwei Bekannten mitten ins Gesicht bekommen. Beide Frauen hatten in den letzten Jahren Brustkrebs und sie haben mir deutlich gesagt: Steffi, wenn du so weitermachst, bist du die nächste…!
Natürlich hatte ich für all mein Tun und noch mehr Tun sehr gute Argumente (oder Ausreden?). Letztendlich wusste ich aber ziemlich sofort, dass sie Recht haben.
Und es gibt auf jeden Fall etwas, was in meinem Fall von Überproduktivität „darunter“ liegt: Warum setze ich meine Prioritäten immer wieder anders, als ich es eigentlich will? Ich hab doch schon so viel verstanden – warum kann ich es nicht umsetzen? Wovor laufe ich eigentlich weg?
Das sind die Fragen, mit denen ich mich auf jeden Fall beschäftigen muss, möchte und werde.
Wie du siehst, sitze ich aber schon wieder am PC. Ich kann’s also noch nicht so gut – aber ich arbeite daran. Heute habe ich schon in deinem Zimmer gesessen und eine von deinen Meditationskarten gemacht, ich hab in meinem Sessel gesessen und einfach aus dem Fenster geguckt und nachgedacht. Und ich hab eine Tonerde-Peeling-Maske gemacht (Papa hat seehehr merkwürdig geguckt;-)) Das ist doch schonmal ein Anfang, oder? Denn auch beim „Entspannen“ muss ich lernen, nicht wieder „Listen abzuhaken“ mit Dingen, die mir ja ach so gut tun, sondern wirklich das zu tun, was ich JETZT TUN möchte. Und jetzt möchte Fotos für dein Freunde-Buch raussuchen;-)
In diesem Sinne: lass uns beide gerne versuchen, immer mehr von dem umzusetzen, was wir schon verstanden haben, oder? Let’s go!
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