Ich sitze grade mit Schniefnase und Kopfschmerzen vor meinem LapTop – Verzeih mir also bitte, wenn dieser Blogbeitrag nicht so ausführlich und vielleicht ein bisschen konfus wird…
Trotzdem wollte ich es mir nicht nehmen lassen, ein paar Momente und Gedanken aus meiner Woche mit Dir zu teilen. Mir tut es unglaublich gut, mir jeden Sonntag die Zeit zu nehmen, um meine Woche zu reflektieren und mir alles aus dem Herzen zu schreiben.
Blick in die Zukunft
Ich sitze auf dem Rücksitz unseres Autos und lasse meinen Blick gedankenverloren aus dem Fenster schweifen. „Ich werde also tatsächlich mit Alina nach Hamburg ziehen.“ Das, was bisher nur als Phantasie in meinem Kopf herumgegeistert ist, wird langsam konkret. Ich habe mich sofort in das Umland und die kleinen Dörfer rund um Hamburg verliebt – die endlose Weite, die grünen Felder, das Fachwerk und die ruhige Atmosphäre. Ich sehe mich schon durch unsere Wohnung tanzen, in der Natur radeln und auf dem Wochenmarkt einkaufen. Es ist fast zu schön, um wahr zu sein. Seit Monaten träume ich davon in mein eigenes zu Hause zu ziehen.
Eine neue Sicht
Ich erinnere mich noch daran, mit welcher Vorfreude ich vor zwei Jahren nach Lüneburg gezogen bin. Ich habe mich so frei und unbesiegbar gefühlt. Ich hatte mein Studium vor mir, wollte mich ganz neu erfinden und mir dort meine Zukunft aufbauen. Doch dann kam alles anders. Heute denke ich, dass ich damals vermutlich noch nicht bereit dafür war. Meine Ansprüche an mich selbst waren riesig. Ich wollte etwas tun, das nicht zu meinem Wesen passte und jemand sein, der ich tief in mir drin nicht bin.
Ich habe oft darüber nachgedacht, wie es dazu kommen konnte, dass ich mich noch einmal so tief in die Essstörung geflüchtet habe. Denn oberflächig sah mein Leben zu dieser Zeit genau so aus, wie ich es mir immer gewünscht habe. Ich habe unglaublich tolle Menschen kennengelernt und konnte mit Umweltwissenschaften und Philosophie genau das studieren, was mir am Herzen lag.
Doch genau das war mein Problem: Ich habe getan, was ich mir erträumt habe. Ich habe mich verhalten, wie ich sein wollte – und habe dabei gemerkt, dass es mich nicht glücklich macht. Damit brach mein Kartenhaus in sich zusammen. Ich hatte jahrelang alles auf diese Karten gesetzt. „Wenn Du das und das hast, wenn Du dies und jenes tust und so und so bist, dann wirst Du glücklich sein!“ Als ich realisiert habe, dass ich mich in eine Illusion verliebt hatte, riss mir das den Boden unter den Füßen weg. Und die vermeintliche Sicherheit, die ich kannte, war die Essstörung. Es klingt total absurd, aber die Essstörung war für mich wie ein rettender Baumstamm in einem wild tosenden Fluss.
Loslassen statt Bekämpfen
„Du kannst den Kampf gegen die Magersucht gewinnen“, „Steh auf und kämpf weiter!“, „Das ist ein wirklich schwieriger Kampf, aber Du schaffst das!“ Ich habe mich lange nicht getraut zuzugeben, dass diese Sätze in mir heftigen Widerstand ausgelöst haben. Ich dachte das läge daran, dass ich noch „zu krank“ war und gar nicht „kämpfen“ wollte. Mittlerweile glaube ich, dass das nichts mit meinem Willen etwas zu verändern zu tun hatte, sondern vielmehr mit dem Symbol vom Kämpfen, mit dem ich nichts anfangen konnte. Kampf bedeutet für mich Aggressivität, Vernichtung des Bösen und Hass. Auch wenn die Essstörung, von außen betrachtet, natürlich „böse“ erscheint und man sie für das, was sie in einem Menschen und dessen Familien anrichtet hassen will, hat sich das für mich nicht so angefühlt. Ich hatte Angst in dem tosenden Fluss unterzugehen. Ich konnte den rettenden Baumstamm nicht bekämpfen und ihn vernichten. Ich hatte kein Vertrauen in den Fluss und noch weniger in meine Fähigkeit, in diesem Fluss schwimmen zu können. Selbst, als sich das Wasser schon längst beruhig hatte.
Es ging und geht für mich darum, das Vertrauen in mich und das Leben aufzubauen. In meine Fähigkeit, auch im tosenden Fluss des Lebens zurecht zu kommen. Damit ich den Baumstamm loslassen und wieder frei im Fluss schwimmen kann.

Neue Erfahrungen
Ich fühle mich jetzt grade ein bisschen so, als würde ich neu schwimmen lernen. Mit Weste und Schwimmflügeln an den Armen drehe ich meine Kreise um den Baumstamm herum. Ab und zu kommen ein paar hohe Wellen. Wenn sich zum Beispiel auf meine Wohnungsanfragen niemand zurückmeldet oder meine Nase ununterbrochen läuft und mich deswegen ausknockt. Ich habe immer noch etwas Angst vor dem Fluss. Im Moment ist er zwar relativ ruhig, aber was ist, wenn hinter der nächsten Biegung wieder eine Stromschnelle lauert? Ich kann nicht sagen, dass mich das nicht beunruhigt, aber ich kenne inzwischen viele Möglichkeiten, wie ich mich, ohne mich an den Baumstamm zu klammern, über Wasser halten kann. Und ich weiß, dass ein Fluss niemals nur aus Stromschnellen besteht. Manchmal freue ich mich sogar auf die Wellen. Sie geben mir die Möglichkeit meine Schwimmfähigkeiten weiter auszubauen. Jede Welle ist ein Teil von meinem Lebensfluss. Ein Fluss steht nie. Er ist immer in Bewegung. Und ich möchte mich mit ihm bewegen. Denn wie langweilig wäre es, immer nur auf der Stelle zu paddeln?
Ein paar letzte Gedanken…
Kennst Du das Gefühl, dich mitten in einem tosenden Fluss zu befinden? Wie wäre es, wenn Du Dir ein richtig cooles Rafting Boot bauen und die Fahrt genießt? Aus welchem Material würdest du dein Boot bauen? Meins besteht zum Beispiel aus Vertrauen, Liebe, Mut und unterstützenden Beziehungen.
So jetzt will mein Kopf, dass ich mich endlich wieder schlafen lege. Danke, dass Du mich auf meiner Reise begleitest! Ich schicke Dir ganz viel Kraft und freue mich auf die nächste Woche.
Deine Sarah