Uff, das war eine ziemliche herausfordernde Woche für mich. Sie fing schon am Sonntag mit einem schwierigen Dämpfer an und hat mich immer wieder emotional an meine Grenzen gebracht. Deswegen tut es mir jetzt grade besonders gut, mir die Zeit zu nehmen all die Eindrücke aus meinem Herzen zu schreiben. Und so hoffentlich zu verarbeiten, was in den letzten Tagen alles durch meinen Kopf gegeistert ist…
Hinfallen
Seit ich vor neun Wochen aus der Klinik entlassen wurde habe ich jede Woche kontinuierlich zugenommen – bis jetzt. Mir war bewusst, dass es nicht immer so weitergehen konnte und Wochen kommen würden, in denen ich meine Ziele nicht erreiche. Trotzdem war ich am Sonntag morgen überzeugt davon, auch heute wieder meinen kleinen Freudentanz aufführen zu können, der mittlerweile schon fast zum Ritual geworden ist. Die Zahl auf der Waage holte mich mit einem Schlag aus meiner Phantasie zurück und katapultierte mich genauso schnell in die Selbstzweifel, Selbstvorwürfe und Angst hinein. Die nächsten Minuten verbrachte ich damit auf meinen Atem zu achten und meine Gedanken zu beruhigen. „Okay Sarah, du bist gestolpert. Diese Niederlage gehört dazu. Du bist trotzdem wertvoll. Steh einfach wieder auf und mach weiter. Du kannst stolz auf Dich sein. Du bist wertvoll. Alles ist gut.“ Ich wiederholte diese Sätze immer und immer wieder.
Als ich noch in der Klinik war, bedeutete für mich „nicht zugenommen zu haben“, dass ich menschlich komplett versagt hatte. Ich hatte Angst vor meinem Therapeuten, den Ärzten und den Konsequenzen, die daraus folgen würden. Auf einmal waren die Gefühle wieder da. „Schaffe ich das überhaupt?“, „Bin ich vielleicht doch zu schwach?“, „Haben die Ärzte Recht gehabt, als sie sagten, ich wäre eine derjenigen, die jedes Jahr zurück in die Klinik kommen, weil sie zu tief in der Essstörung stecken?“
Am Sonntag morgen entschied ich mich dazu, diesen Stimmen keinen Raum zu geben und mit meinem kleinen Mantra zu übertönen. Ich überlegte mir, was ich konkret ändern konnte und fing dann an. Um ehrlich zu sein – Ich war ziemlich überrascht von mir selber.
In den letzten Jahren bin ich in 98% solcher Fälle bei dem Punkt „ich überlege mir was ich ändern könnte“ hängengeblieben und habe das entscheidende beiseitegelassen: Das Anfangen.
Aufstehen
Eins möchte ich vorwegnehmen: Es war verdammt schwer. Mehr zu essen, obwohl ich eigentlich schon satt bin und mich weniger zu bewegen, obwohl in mir alles nach Bewegung schreit. Das Völlegefühl in meinem Magen zuzulassen löst in mir Unbehagen aus. Es feuert alle möglichen alten Gedanken an. Ich habe mehr als einmal das Bedürfnis gehabt mich einfach einzurollen.
„Dieser Weg ist schon ziemlich anstrengend, findest Du nicht auch? Willst Du nicht lieber aufgeben und Dich wieder zurückziehen?“
„Ja, es ist anstrengend. Verdammt anstrengend. Aber das ist die Essstörung auch.“
„Ach wirklich? Musstest Du Dir da so viele Sorgen machen? Musstest Du Angst haben? Es hat Dich nicht berührt, ob Freunde dir schreiben oder nicht. Du musstest nichts leisten und Dir keine Gedanken um die Zukunft machen. Das war doch schön!“
„Nein. Ich habe einfach nichts mehr gefühlt. Ich habe nichts mehr gedacht. Diese dumpfe Leere ist viel schlimmer. Und Du vergisst: Angst hatte ich trotzdem. Extreme Angst. Und unglaublich viel Druck. Dahin gehe ich auf keinen Fall zurück. Keine Chance. Alles ist besser als das. Ich habe das überstanden, also werde ich das jetzt auch schaffen. Ich kann schwierige Dinge tun.“
Damit war die Diskussion beendet. Heute habe ich mich wieder auf die Waage gestellt – und es folgte ein großer Freudentanz!

Meine Wunden anschauen
Nach diesem Wochenstart sind viele Erinnerungen und Emotionen aus meiner Zeit in der Klinik wieder an die Oberfläche gekommen. Dieses Kapitel wollte ich eigentlich noch ein bisschen länger verschlossen halten. Ich möchte es mir auf jeden Fall irgendwann noch anschauen und die verdrängten Emotionen loslassen, aber eben irgendwann und noch nicht jetzt. Aber das Leben hat manchmal andere Dinge mit mir vor. Also hörte ich auf gegen die Bilder anzukämpfen. Stattdessen habe ich mich immer wieder hingesetzt und zugelassen zu weinen. Wütend zu sein. Angst zu haben. Mich unverstanden zu fühlen. Ich habe das Glück, dass ich durch meine Ausbildung zum Life-Coach tolle Menschen kennenlernen durfte, die mir in solchen Situationen helfen. Es war eine tolle Erfahrung, mich selbst in Meditationen zu umarmen und mir die Liebe zu geben, nach der ich mich früher gesehnt habe. Ich glaube zwar, dass da immer noch viel in mir brodelt, aber es ist ein tolles Gefühl, dass ich mich jetzt stark genug fühle, um mich damit auseinander zu setzen. Ich schaue mir die Wunden an und lasse sie bluten. Denn ich weiß, dass sie wieder heilen werden.
Sehen, was heil ist
Auf der anderen Seite war diese Woche aber auch unglaublich schön. Ich habe es sehr genossen mit wertvollen Freundinnen zu telefonieren. Ein paar alte Bekannte haben sich ganz unverhofft bei mir gemeldet und mir damit ein großes Lächeln ins Gesicht gezaubert. Es gibt Menschen in meinem Leben, für die „Freundschaft“ nicht ausreicht, um die Verbindung zu beschreiben. Kennst Du das Gefühl, Dich mit jemandem so sehr verbunden zu fühlen, dass ihr keine Worte braucht? Ihr seht euch nicht oft, aber wenn ihr miteinander sprecht, ist da gleich eine tiefe Vertrautheit? Du kannst bei diesem Menschen ganz frei sprechen und wenn Du den Hörer dann wieder auflegst oder nach Hause fährst, bist Du voller Energie und strahlst innerlich. Ich danke euch von Herzen, Ihr bereichert mein Leben!
Es gibt so viel Wunderschönes in meinem Leben, für das ich dankbar sein kann. Auch und grade dann, wenn ich ein bisschen ins Straucheln gerate.
Damit komme ich auch schon fast zum Ende. Diesen Gedanken möchte ich aber gerne noch mit Dir teilen: Ich neige dazu in Extremen zu denken und zu leben. Wenn ich mir vornehme, eigenständig zu sein, dann mache ich das zu 120%. Im Gegenzug erlaube ich mir nicht mehr, in irgendeiner Form von meiner Familie oder anderen Menschen abhängig zu sein. Der Wunsch nach Verbundenheit und Rückzug ins Vertraute wird damit gleich aus meinem Kopf verbannt. Das löst in mir allerdings große Anspannung aus und ich gerate schnell aus dem Gleichgewicht. In einem sehr intensiven Coaching habe ich mir das am Dienstag einmal genauer angesehen und diesen neuen Satz für mich formuliert: „Ich darf selbstständig und unabhängig sein. Ich darf meinen eigenen Weg gehen. Aber ich darf mir auch gleichzeitig Verbundenheit wünschen und das Vertraute in meinem Leben genießen. Ich darf das eine tun, ohne das andere zu lassen. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten. Das Leben ist nicht schwarz-weiß. Es ist kunterbunt und wunderschön!“
Ein paar letzte Gedanken…
Wie gehst Du mit Dir selber um, wenn Du stolperst? Wie sprichst Du mit Dir? Wie wäre es, Dich in diesen Situationen besonders zu feiern – all deine Stärken, deine Siege und all Deinen Mut? Welche Sätze, Welche Handlungen tun dir jetzt gut? Steh auf. Schaue hin und lasse alles zu. Überlege Dir Deine nächsten Schritte. Denk daran: Du kannst schwierige Dinge tun!
Ich wünsche Dir auf deinem Weg ganz viel Kraft! Ich würde mich riesig freuen, wenn Du mir auch von Dir erzählst. Wann bist Du schon einmal gestolpert? Wie hast Du Dich gefühlt? Was hat Dir die Kraft gegeben wieder aufzustehen?
Alles Liebe, Deine Sarah
Sehr beeindruckend, liebe Sarah. Ich bin sehr stolz auf dich, dass du dich getraut hast, aufzustehen und weiter zu gehen!!! Ich liebe dich!
Von meinem iPhone gesendet
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